In Emmerich am Rhein wird am 31. Oktober 1885 Henriette Franken geboren. Ihre Eltern sind der Bankier Abraham alias Adolf Franken und dessen Ehefrau Lina geb. Koppel-Bamberger.1
Henriette hat einen älteren Bruder und noch mindestens fünf jüngere Geschwister. Im Alter von 15 Jahren zieht sie mit der ganzen Familie nach Hamburg ins Grindelviertel, dem Zentrum jüdischen Lebens jener Stadt. Mit 25 Jahren, im Jahr 1911, wird Henriette Inhaberin der Firma ihres Vaters. Diese Firma, eine Agentur für Finanzkommunikation, leitet sie den gesamten Ersten Weltkrieg hindurch. In allen Adressbüchern wird ihr Vorname fortan als "Henny" angegeben.2
Gleich zu Beginn des Krieges stirbt Henriettes Bruder Magnus in einer Schlacht als deutscher Soldat. 1916 stirbt ihr Bruder Alex ebenfalls im Kampf.3 Nach dem Krieg zieht Henriette nach Berlin. Sie arbeitet fortan als Sekretärin und Redakteurin.4
Im Alter von 35 Jahren heiratet sie Ferdinand Fellinger. Die Trauung findet Heiligabend 1921 in Berlin statt. Ferdinand Fellinger stammt ebenfalls aus Emmerich. Dort wurde er evangelisch getauft. Jetzt ist er Doktor der Philosophie und arbeitet als Studienrat in Cottbus, wo die beiden fortan leben.5
1935 stirbt Ferdinand. Henriette steht als Jüdin im NS-Regime nun nicht mehr im Schutz ihrer Ehe. Da sie auch keine Arbeit mehr hat und nur eine geringe Witwenrente bekommt, muss sie sich zwingend um ein Auskommen kümmern. In Spremberg kann sie bei der jüdischen Familie Levy als Hausdame anfangen und zieht in deren Villa in die Wiesengasse 6. Im Haus wohnt sie gemeinsam mit Fritz Levy, dessen Schwester Erna und deren Mann Max Heimann.6
Als Familie Levy aus Spremberg flieht, muss Henriette entlassen werden. Clara Levy, die Mutter von Fritz und Erna, vermacht Henriette 2000 Reichsmark als Dank. Doch das Geld wird sie nie erhalten. Die Auszahlung wird durch das NS-Regime blockiert. Hinzu kommt, dass ihr die sogenannte Juden-Vermögensabgabe aufgezwungen wird, was dazu führt, dass sie sich verschuldet.7
1938 erkrankt Henriette schwer. In einem Bericht schreibt sie später:
„Ich bin Ende 1938 ganz schwer erkrankt, war 11 Monate lang mit kurzer Unterbrechung in Krankenhausbehandlung des jüdischen Krankenhauses, Berlin, bin ungeheilt entlassen (Diagnose Reizzustände der Hirnhaut) und leide an ganz häufigen Krampfanfällen, Schwindel, Versagen aller Glieder. Ich bedarf deshalb dauernder Aufsicht und Pflege und bin völlig erwerbsunfähig. Deshalb muss ich mir eine ständige Pflegerin (Frl. Schönfeld) halten, die neben freier Station von mir regelmäßig 20 RM monatlich neben freien Kassen erhält, wobei weitere Ansprüche wegen zu geringer Bezahlung vorbehalten sind. Außerdem muss ich seit Jahren meine kränkliche, erwerbslose und mittellose in Essen lebende Schwester Erna Sara Franken unterstützen.“ 8
Die Pflegerin, die sie nennt, ist die Jüdin Elly Schönfeld, die extra aus Berlin nach Spremberg gezogen ist, um Henriette zu unterstützen. Wahrscheinlich hatte sie selbst auch kein anderes Auskommen mehr.
Ab 1939 lebt Henriette in der Peter-Rosegger-Straße 4/5 (heute Georgenhöhe), einem Haus, das sich ebenfalls im Besetz der Familie Levy befindet.9 Dort stirbt sie am 18. April 1940 in ihrer Wohnung. Sie ist 54 Jahre alt. Die Sterbeanzeige macht Elly Schönfeld im Standesamt Spremberg und gibt als Todesursache "meningitische Reizzustände und Atemlähmung" an.10 Außerdem nutzt Elly die Georgenkapelle auf dem Georgenberg für eine Trauerfeier für Henriette.11 Ob außer ihr noch jemand anderes von Henriette Abschied nahm?
Die Nachlasspflege übernimmt der jüdische Rechtsanwalt Hermann Hammerschmidt aus Cottbus. In der Akte findet sich auch ein Briefwechsel von Henriettes Geschwistern. Leo Franken schreibt an die Schwester Erna:
„Nachdem, was Du mir von Hennys Krankheit mitteiltest, ist es ja ein wahrer Segen, daß der liebe Gott sie zu sich geholt hat, ganz besonders in dieser Zeit. Lassen wir ihr ihre Ruhe, sie war ein aufopfernder lieber Mensch.“ 12
Henriette hinterlässt ihren Geschwistern Möbel, Bücher (darunter sämtliche Werke von Goethe, und eine Ausgabe von Robinson Crusoe auf Französisch) und eine wertvolle Briefmarkensammlung.13
Ihr Bruder Leo überlebt die Haft im Ghetto Theresienstadt. Ihre Schwester Erna, die ihr Leben der Pflege von Säuglingen widmete, wird im NS-Regime ermordet. Ihre Schwester Ilse kann nach England ins Exil fliehen.
19 Jahre nach Henriettes Tod wird in ihrem Geburtseintrag in Emmerich ihr Name berichtigt: Der Zwangsbeiname "Sara", den sie in der NS-Zeit führen musste, wird gestrichen.
31.10.1885 | Geburt – in Emmerich am Rhein |
1900 | Umzug nach Hamburg |
ab 1911 | Geschäftsführerin eienr Agentur für Finanzkommunikation |
1918 | Umzug nach Berlin |
24.12.1921 | Eheschließung – mit Ferdinand Fellinger in Berlin |
1922 | Umzug nach Cottbus |
1935 | Tod des Ehemannes |
1935 | Zuzug – nach Spremberg, Arbeit als Hausdame |
1938 | schwere Erkrankung, Anstellung der Jüdin Elly Schönfeld als Pflegerin, Zwang zur "Juden-Vermögensabgabe" |
18.04.1940 | Todestag – in Spremberg, Trauerfeier in der Georgenkapelle |
Schönfeld, Elly | Pflegerin |
Levy, Clara | Arbeitgeberin |
Levy, Fritz | Arbeitgeber |
Heimann, Max | Hausmitbewohner |
Heimann, Erna | Hausmitbewohner |
Wiesengasse | Wohn- und Arbeitsort |
Georgenhöhe | letzter Wohnort, zukünftiger STOLPERSTEIN |
31.10.1885 | Geburt – in Emmerich am Rhein |
1900 | Umzug nach Hamburg |
ab 1911 | Geschäftsführerin eienr Agentur für Finanzkommunikation |
1918 | Umzug nach Berlin |
24.12.1921 | Eheschließung – mit Ferdinand Fellinger in Berlin |
1922 | Umzug nach Cottbus |
1935 | Tod des Ehemannes |
1935 | Zuzug – nach Spremberg, Arbeit als Hausdame |
1938 | schwere Erkrankung, Anstellung der Jüdin Elly Schönfeld als Pflegerin, Zwang zur "Juden-Vermögensabgabe" |
18.04.1940 | Todestag – in Spremberg, Trauerfeier in der Georgenkapelle |
In Emmerich am Rhein wird am 31. Oktober 1885 Henriette Franken geboren. Ihre Eltern sind der Bankier Abraham alias Adolf Franken und dessen Ehefrau Lina geb. Koppel-Bamberger.1
Henriette hat einen älteren Bruder und noch mindestens fünf jüngere Geschwister. Im Alter von 15 Jahren zieht sie mit der ganzen Familie nach Hamburg ins Grindelviertel, dem Zentrum jüdischen Lebens jener Stadt. Mit 25 Jahren, im Jahr 1911, wird Henriette Inhaberin der Firma ihres Vaters. Diese Firma, eine Agentur für Finanzkommunikation, leitet sie den gesamten Ersten Weltkrieg hindurch. In allen Adressbüchern wird ihr Vorname fortan als "Henny" angegeben.2
Gleich zu Beginn des Krieges stirbt Henriettes Bruder Magnus in einer Schlacht als deutscher Soldat. 1916 stirbt ihr Bruder Alex ebenfalls im Kampf.3 Nach dem Krieg zieht Henriette nach Berlin. Sie arbeitet fortan als Sekretärin und Redakteurin.4
Im Alter von 35 Jahren heiratet sie Ferdinand Fellinger. Die Trauung findet Heiligabend 1921 in Berlin statt. Ferdinand Fellinger stammt ebenfalls aus Emmerich. Dort wurde er evangelisch getauft. Jetzt ist er Doktor der Philosophie und arbeitet als Studienrat in Cottbus, wo die beiden fortan leben.5
1935 stirbt Ferdinand. Henriette steht als Jüdin im NS-Regime nun nicht mehr im Schutz ihrer Ehe. Da sie auch keine Arbeit mehr hat und nur eine geringe Witwenrente bekommt, muss sie sich zwingend um ein Auskommen kümmern. In Spremberg kann sie bei der jüdischen Familie Levy als Hausdame anfangen und zieht in deren Villa in die Wiesengasse 6. Im Haus wohnt sie gemeinsam mit Fritz Levy, dessen Schwester Erna und deren Mann Max Heimann.6
Als Familie Levy aus Spremberg flieht, muss Henriette entlassen werden. Clara Levy, die Mutter von Fritz und Erna, vermacht Henriette 2000 Reichsmark als Dank. Doch das Geld wird sie nie erhalten. Die Auszahlung wird durch das NS-Regime blockiert. Hinzu kommt, dass ihr die sogenannte Juden-Vermögensabgabe aufgezwungen wird, was dazu führt, dass sie sich verschuldet.7
1938 erkrankt Henriette schwer. In einem Bericht schreibt sie später:
„Ich bin Ende 1938 ganz schwer erkrankt, war 11 Monate lang mit kurzer Unterbrechung in Krankenhausbehandlung des jüdischen Krankenhauses, Berlin, bin ungeheilt entlassen (Diagnose Reizzustände der Hirnhaut) und leide an ganz häufigen Krampfanfällen, Schwindel, Versagen aller Glieder. Ich bedarf deshalb dauernder Aufsicht und Pflege und bin völlig erwerbsunfähig. Deshalb muss ich mir eine ständige Pflegerin (Frl. Schönfeld) halten, die neben freier Station von mir regelmäßig 20 RM monatlich neben freien Kassen erhält, wobei weitere Ansprüche wegen zu geringer Bezahlung vorbehalten sind. Außerdem muss ich seit Jahren meine kränkliche, erwerbslose und mittellose in Essen lebende Schwester Erna Sara Franken unterstützen.“ 8
Die Pflegerin, die sie nennt, ist die Jüdin Elly Schönfeld, die extra aus Berlin nach Spremberg gezogen ist, um Henriette zu unterstützen. Wahrscheinlich hatte sie selbst auch kein anderes Auskommen mehr.
Ab 1939 lebt Henriette in der Peter-Rosegger-Straße 4/5 (heute Georgenhöhe), einem Haus, das sich ebenfalls im Besetz der Familie Levy befindet.9 Dort stirbt sie am 18. April 1940 in ihrer Wohnung. Sie ist 54 Jahre alt. Die Sterbeanzeige macht Elly Schönfeld im Standesamt Spremberg und gibt als Todesursache "meningitische Reizzustände und Atemlähmung" an.10 Außerdem nutzt Elly die Georgenkapelle auf dem Georgenberg für eine Trauerfeier für Henriette.11 Ob außer ihr noch jemand anderes von Henriette Abschied nahm?
Die Nachlasspflege übernimmt der jüdische Rechtsanwalt Hermann Hammerschmidt aus Cottbus. In der Akte findet sich auch ein Briefwechsel von Henriettes Geschwistern. Leo Franken schreibt an die Schwester Erna:
„Nachdem, was Du mir von Hennys Krankheit mitteiltest, ist es ja ein wahrer Segen, daß der liebe Gott sie zu sich geholt hat, ganz besonders in dieser Zeit. Lassen wir ihr ihre Ruhe, sie war ein aufopfernder lieber Mensch.“ 12
Henriette hinterlässt ihren Geschwistern Möbel, Bücher (darunter sämtliche Werke von Goethe, und eine Ausgabe von Robinson Crusoe auf Französisch) und eine wertvolle Briefmarkensammlung.13
Ihr Bruder Leo überlebt die Haft im Ghetto Theresienstadt. Ihre Schwester Erna, die ihr Leben der Pflege von Säuglingen widmete, wird im NS-Regime ermordet. Ihre Schwester Ilse kann nach England ins Exil fliehen.
19 Jahre nach Henriettes Tod wird in ihrem Geburtseintrag in Emmerich ihr Name berichtigt: Der Zwangsbeiname "Sara", den sie in der NS-Zeit führen musste, wird gestrichen.
Schönfeld, Elly | Pflegerin |
Levy, Clara | Arbeitgeberin |
Levy, Fritz | Arbeitgeber |
Heimann, Max | Hausmitbewohner |
Heimann, Erna | Hausmitbewohner |
Wiesengasse | Wohn- und Arbeitsort |
Georgenhöhe | letzter Wohnort, zukünftiger STOLPERSTEIN |
Brandenburgisches Landeshauptarchiv:
Stadtarchiv Emmerich:
Stadtarchiv Spremberg:
Online-Archiv der Ahnenforschungsplattform ancestry.de:
Sekundärliteratur:
An dieser Stelle möchten wir uns ausdrücklich beim Stadtarchiv Emmerich und dem Emmericher Geschichtsverein für die ausgezeichneitete Unterstützung bedanken.
Internetseiten:
Online Digitalisate der Universität Hamburg:
Online Digitalisate der Zentral- und Landesbibliothek Berlin:
Das Bundesarchiv: